veröffentlicht am Dienstag, 08.09.2015

Sandro Morelli, Juristische Seminararbeit, Die Zulassungspolitik von 1945 bis heute, 2014


Kapitel 1: Zulassungspolitik der Schweiz bis 1945

Um die Entwicklungen im Bereich der Zulassungspolitik von 1945 bis heute nachvollziehen zu können, soll zu beginn ein kurzer Abriss über die Zulassungspolitik und die Migrationsthematik in der Schweiz bis zum Jahr 1945 gemacht werden. Dabei wird insbesondere aufgezeigt, dass die Schweiz im Gegensatz zu heute nicht immer ein typisches Einwanderungsland war.1 Ebenfalls wird erläutert, welche Gegebenheiten dazu geführt haben, dass zum Ende des 19. Jahrhunderts grosse Überfremdungsängste aufgekommen sind.2 Vorweggenommen seien hier zwei Grafiken, welche den Anteil der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz und die Zuwanderung in Zahlen und Prozenten aufzeigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 1: Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung der Schweiz, nach Bundesamt für Statistik, Bericht 20083.
 

 

 

 

 

 













 

 

Abb. 2: Wanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung, nach Bundesamt für Statistik, Wanderung.                                                                           

Schweiz als Auswanderungsland bis Ende 1880er Jahre
Heute gilt die Schweiz auf Grund der grossen Zuwanderung als typisches Einwanderungsland. Jedoch war dies nicht immer so. Die Schweiz war bis zum Ende der 1880er Jahre ein Auswanderungsland.4 Die Schweiz ist dazumal ein Land ohne Rohstoffe und klar landwirtschaftlich geprägt gewesen. Mehrere Missernten und das allgemeine Gefühl der Güterknappheit, zwangen zwischen 1870 und 1890 rund 120‘000 Personen aus wirtschaftlicher Not zur Auswanderung. Doch auch berufliche, politische und religiöse Gründe, trugen ihren Teil zur Auswanderungswelle bei.5 Die Push-Faktoren für die Emigration aus der Schweiz zur damaligen Zeit, unterschieden sich kaum von den Emigrationsgründen aus südlich und östlich gelegenen Ländern in der heutigen Zeit. Abgesehen von Landwirtschaftskrisen, müssen auch die hohe Geburtenrate in der Schweiz sowie diverse Naturkatastrophen als entscheidende Faktoren genannt werden.6 Die Auswanderung von Schweizerinnen und Schweizern wurde von den Behörden im 19. Jahrhundert sogar finanziell gefördert.7 Es kam auch vor, dass insbesondere kinderreiche Familien mittels Gemeindebeschluss zur Auswanderung gezwungen wurden.8 Die Emigranten versuchten dazumal insbesondere in Australien, Brasilen, Argentinien sowie in den USA eine neue Existenz aufzubauen9, aber es wurden auch saisonale Arbeitskräfte ins grenznahe Ausland entsandt.10
Die Einwanderungsthematik stand bis in das Jahr 1880 nicht im Vordergrund und wurde schon gar nicht als problematisch empfunden.11 Es bestand kein Interesse die Zuwanderung zu begrenzen, da die Nachfrage an gut ausgebildeten Arbeitskräften sehr gross war. Zudem wurden für die grossen Infrastrukturprojekte wie beispielsweise dem Bau des Gotthard- oder des Simplon-Eisenbahntunnels zahlreiche günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt. Aus diesem Grund existierte zu jenem Zeitpunkt noch keine eidgenössische Einwanderungsgesetzgebung, so dass es den Kantonen oblag, über die Aufnahme von Einwanderern zu entscheiden.12 Die Schweiz als kleines und neutrales Land in der Mitte Europas hatte sich überdies über mehrere Jahrhunderte stets als grosszügiges Asylland hervorgetan. So fanden Glaubensflüchtlinge, aber auch politisch Verfolgte und Revolutionäre in der liberalen Schweiz Zuflucht.13

Überfremdungsängste ab Ende des 19. Jahrhunderts
Zum Ende des 19. Jahrhunderts und zum Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu einem raschen Anstieg der in der Schweiz wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer.14 Betrug die Zahl im Jahr 1850 rund 70‘000 so wurden im Jahr 1914 bereits 600‘000 Einwanderer gezählt. Diese Wende im Bereich der Migrationsströme und der starke Anstieg der ausländischen Wohnbevölkerung, lässt sich insbesondere mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ab dem Jahr 1850 begründe.15 Auf Grund dieser Entwicklung, wurde die Ausländerfrage zur Jahrhundertwende immer mehr zum Politikum und das Fremde wurde erst jetzt als eigentliche Bedrohung wahrgenommen. Die bis anhin liberal geprägte Schweiz, kannte auf Bundesebene dazumal noch keine eigentliche Migrations- oder Zulassungspolitik. Dies korreliert in hohem Masse mit der dazumal prägenden liberal-radikalen Staatsanschauung, welche das Land von 1848 bis 1914 dominierte.16 Die Volkszählung von 1914, bei der ein Ausländeranteil von 14.7% ermittelt wurde, bestärkte die Überfremdungsangst zusätzlich.17 Konservative Kreise befürchteten durch die veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung den Verlust der altbäuerlichen Werte. Sie sahen darin eine latente Gefahr für die helvetische Identität und den Zusammenhalt der Nation.18 Insbesondere die Grenzkantone sowie die Städte Basel, Genf und Zürich machten sich für eine Reduktion des Ausländerbestandes sowie wirksame Kontroll- und Abwehrmassnahmen stark. So hielt der Bund die Kantone im Jahr 1915 an, eine Schriftenkontrolle an den Grenzen einzuführen.19 Unter dem öffentlichen Druck erliess der Bund im Jahre 1917, also zum Höhepunkt des 1. Weltkrieges, per Notrecht eine erste Verordnung zur Kontrolle der Ausländer und zur Grenzpolizei.20 Diese Tendenzen in Richtung mehr Selbstbestimmung und Kontrolle korrelieren wenig erstaunlich mit dem in der Gesellschaft tief verankertem Nationalismus. So standen ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den meisten Ländern Europas die Herausbildung einer nationalen Identität und die Konsolidierung des Nationalstaates nach innen im Vordergrund.2.
Im Jahr 1924 schliesslich legte der Bundesrat erstmals eine Botschaft zu einem ersten Ausländergesetz vor. Damit sollte eine klar restriktive Zulassungspolitik verfolgt werden. Der Gesetzesentwurf war geprägt von der Leitidee der Überfremdungsabwehr. Damals ging man von einem Anstieg des Ausländeranteils auf 50% innert 77 Jahren aus.22 Durch die Zustimmung des Volkes zu einer Änderung der Bundesverfassung im Jahre 1925 wurde der Bundesgesetzgeber legitimiert, das Ausländerrecht für die ganze Schweiz zentral zu regeln. Die Einführung des Bundesgesetzes über den Aufenthalt und die Niederlassung der Ausländer (ANAG) im Jahr 1934 besiegelte das Ende der liberalen Migrationspolitik endgültig und mit weitreichenden Konsequenzen.23 So ersuchten vor und während des 2. Weltkrieges tausende Juden sowie weitere politische Flüchtlinge um Schutz in der Schweiz. Flüchtlinge aus Rassegründen wurden damals allerdings nicht als politische Flüchtlinge anerkannt und deshalb trotz akuter Bedrohung in grosser Zahl an der Grenze abgewiesen, wofür die Schweiz bis heute stark kritisiert wird.24


1 Vgl. Kap. 3.1.

2 Vgl. Kap. 3.2.

3 Die Statistiken nach 2008 wurden jeweils mit dem Bestand der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung. (exklusive Kurzaufenthalter und Asylsuchende) geführt, was ein Vergleich mit den Zahlen von 1900-2007 verunmöglicht. Deshalb werden hier die Zahlen bis 2007 dargestellt.

4 Wanner, S. 13.

5 Caroni / Meier / Ott, S. 21.

6 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 32.

7 Spescha, Zukunft «Ausländer», S. 22.

8 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 33.

9 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 32.

10 Spescha, Zukunft «Ausländer» S. 21f.

11 Spescha, Zukunft «Ausländer» S. 22.

12 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 33.

13 D‘Amato, S. 27f.

14 D‘Amato, S. 29.

15 Caroni / Meier / Ott, S. 21.

16 Möckli, S. 203.

17 Spescha, Zukunft «Ausländer» S. 23f.

18 D‘Amato, S. 31.

19 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 33.

20 Buomberger,S. 32f.

21 Senn / Gschwend / Pahud de Mortanges, S. 273f.

22 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 36.

23 D‘Amato, S. 36.

24 Caroni / Meier / Ott, S. 24.